Halloween. Fete in meiner Stamm-Kneipe. Frauenabend. Yay. Dachte ich zumindest am Anfang, denn die Musik war gut, die Drinks zahlreich. Bis kurz vor Schluss. Circa zwei Uhr nachts, glaube ich, bis die Raucherpause kam. Ausgerechnet da wurden wir angequatscht. Klischee, ja, aber immerhin wurden wir nicht mit billigen Sprüchen à la «Hesch mol Füür» abgespeist. Ich habe nichts dagegen, angesprochen zu werden. Grundsätzlich spreche ich nicht ungern mit Fremden. Auch, wenn sie halt Männer sind.
Schlimmer ist das, was danach kam. Was fast immer danach kommt. Denn proportional zur Länge einer Unterhaltung mit einem Typen* steigt auch das Risiko, «angemacht» zu werden. Der Moment, in dem ein Gespräch von «Was schaffsch» zu «Hesch mir no dini Nummere» abdriftet, ist schleichend. Und meistens verpenne ich es, irgendwie sneaky einzubauen, dass ich vergeben bin. Sagt man es zu früh, riskiert man, als arrogant abgestempelt zu werden, denn vielleicht wollte das Gegenüber ja wirklich nur ein Gespräch führen. Sagt man es zu spät, provoziert man einen Wutausbruch, weil der Typ den ganzen Abend mit der Tussi eines anderen vergeudet hat. An diesem Abend gelang es mir aber. Naiv wie ich war, dachte ich, dass jetzt ein tolles Gespräch möglich ist. Geklärte Fronten und so. Ich Idiotin. Denn der Typ hatte nicht nur die Angewohnheit, Beleidigungskomplimente am Laufmeter zu machen («Du lisblesch, aber i finds mega herzig»), sondern konnte auch seine Hände nicht bei sich behalten. Und bevor mir jetzt jemand mit Triggerwarnung kommt: Nein, er hat mir nicht an die Titten oder zwischen die Beine gefasst. Aber neben der unerträglich Tatsache, dass er jeden Satz mit meinem Namen begann, hat er mir beim Sprechen auch immer den Arm um die Schulter gelegt. Und ich hasse das. Wirklich. Ganz fest.
Ich verstehe einfach nicht, warum das nötig ist. Wer ist bitteschön auf die Idee gekommen, seinen Worten Nachdruck zu verleihen, in dem er ganz ungezwungen herumtatscht? Und wer findet das nicht absolut daneben? Ich halte es ja schon kaum aus, wenn ich angerempelt werde, aber gezielte Berührungen von Unbekannten machen mir Angst. Und sie machen mich wütend. Niemand gibt diesen Volltrotteln das Recht, mich einfach so anzufassen. Niemand. Dementsprechend kommuniziere ich das, wenn ich sehe, dass die Hand des Gegenübers gefährlich nah kommt. Ich sage dann «Bitte nicht anfassen, ich mag das nicht». Fast schlimmer als die Berührungen ist der Schrott, den ich mir dann anhören muss. Das Halloween-Exemplar fragte nur «Wieso nicht», was auch unfassbar dumm ist, denn a.) geht es dich einen feuchten Dreck an und b.) muss ich das vor einem fremden Dude in irgendeiner Absteige nicht rechtfertigen. Aber dann gibt es die, die lachen. Oder sich sehr sarkastisch entschuldigen. Oder die, die es einfach nicht checken. Und dann die Ausreden. «Ist doch nicht so gemeint, jetzt tu nicht so» oder «Sorry, ich mach das immer». Ja, Silvan. Schön, dass du das immer so machst. Und es überrascht mich, dass dich noch niemand heftig dafür verprügelt hat. Aber bei mir machst du das nicht, klar?
Sag ich natürlich nicht. Ich erkläre mit einer Engelsgeduld den Begriff «Sozialphobie», beantworte bereitwillig alle Fragen und halte einen Vortrag über Grenzen und Respekt. Wenns gar nicht geht schiebe ich meinen Freund vor. Lustigerweise zieht das immer. Warum zum Teufel muss ich erst sagen, dass ich vergeben bin, bevor diese Typen aufhören, mich anzugrabschen?
Und ja, ich weiss: Meine Art zu kommunizieren müsste klarer sein. Kein Bitte beinhalten. Aber ich kann nicht anders. Vor allem, weil ich nicht als empfindlich gelten will und wirklich glaube, dass diese Typen das nicht böse meinen. Erst, wenn es nach dem zweiten Mal sagen immer noch nicht angekommen ist, gehe ich oder werde laut. Oder meine Schwester kommt mir zuvor und faltet die Typen zusammen. Sie kann das nämlich. Aber ich wünsche mir, dass es gar nicht erst dazu kommen muss. Kann ich denn nicht einfach sagen, dass ich das nicht möchte und sie kapieren es? Ohne dummen Spruch, ohne blöde Fragen, ohne nichts. Einfach: «Bitte nicht anfassen, ich mag das nicht» und ein «Okay, alles klar». Was wäre die Welt schön? Aber so läuft es nie. Ich habe erst einmal erlebt, dass jemand völlig gechillt darauf reagiert hat. Und das war in der Klapse.
Also bleibe ich höflich und ignoriere die Verwirrung, die dem Gegenüber nach meinen Erklärungsversuchen ins Gesicht geschrieben steht. Dass er es definitiv nicht verstanden hat, erfuhr ich am nächsten Tag. Meine Schwester erzählte, dass mein Monolog «doch was mit ihm gemacht habe», denn er habe sie danach immer höflich gefragt, ob es ihr etwas ausmache, wenn er sie ab und zu anfasst. Sie fand das «nett». Ich finds Bullshit. Denn es ist doch offensichtlich, dass der Typ nichts gerafft hat. Er nutzt die Frage, um sich zu bestätigen, dass er so weitermachen kann wie bisher, sein Benehmen nicht überdenken muss. Viele Frauen verwechseln das mit Fürsorge. Mit Manieren. Dabei wären wirkliche Manieren, niemanden einfach so anzufassen.
*An die männlichen Zeitgenossen: Ich hätte gerne «Menschen» geschrieben. Aber Frauen fassen mich nun mal höchst selten ungefragt an. Sorry not sorry.