Triggerwarnung In diesem Beitrag geht es um Depressionen und Suizidgedanken. Falls du dich mit dem Thema unwohl fühlst, lies dir den Text nicht durch. Unterstützungsangebote findest du hier.
Wer noch nicht über meine Depression und Suizidalität informiert war, weiss es jetzt. Mit 22 war ich drei Monate in der Psychiatrie, um wieder leben zu lernen. Oder besser: Um das Leben wieder mögen zu lernen. Ich schreibe bewusst nicht «lieben». Denn das Leben zu lieben ist noch immer verdammt schwer. Aber es mögen: Ja. Das tue ich mittlerweile. Anyway. Was ich in meinem relativ ausführlichen Bericht über diese Zeit bewusst weggelassen habe, soll heute Thema sein. Ein Kleid. Das Kleid. Ich wollte es zum Sterben tragen. Wieso es genau dieses ist, weiss ich nicht mehr. Ich weiss nur, dass ich es seither nie mehr angehabt habe. Es hängt in meinem Schrank. Wartet. Vielleicht auf den Tag, an dem ich es wieder tragen kann. Oder auf den Tag, an dem es doch noch als Todeskleid fungieren kann. Letzteres hoffe ich nicht. Aber wissen kann ich es nicht. Das kann man ja nie.
Ihr fragt euch sicher, wie der Fetzen aussieht. Ein Bild davon bekommt ihr nicht. Das wär mir dann doch irgendwie zu nah. Darüber schreiben: okay. Es zeigen: zu intim. Aber beschreiben kann ich es. Es ist violett-braun, mit zugegeben ziemlich seltsamen Mustern, aber mit schwarzer Spitze am Saum. Schon als ich es mit 16 oder 17 anprobierte, musste ich irgendwie an den Tod denken. Ich besitze kein einziges Kleidungsstück, das ihn so gut darstellt. Und das, obwohl ich ziemlich viele Gothik-Fummel im Schrank hängen habe. Aber dieses Kleid ist irgendwie anders. Es ist düster und schön zugleich. So, wie ich früher den Tod sah. Dass das Bullshit ist, weiss ich heute. Aber damals liess mich das Bild von mir in diesem Kleid, von mir im Sarg, nicht los. «Das wirkt inszeniert», sagte mein Psychiater, als ich ihm das Bild beschrieb. «Was für ein Scheiss», dachte ich damals. Aber er hatte recht. Niemals hätte ich beim Sterben so schön ausgesehen, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Denn der Tod ist nicht schön, hat nichts Romantisches an sich. Er ist hässlich und traurig und verletzt die, die zurückbleiben. Und doch war ich besessen von dem Bild. Ich konnte nicht aufhören, mir diesen Moment vorzustellen. Die Momente danach habe ich ausgeblendet.
Seit ich wieder gesund bin, kann ich nicht aufhören, mir eben jene vorzustellen. Meine trauernde Familie. Mein damals noch frischer Partner, der die Welt nicht mehr verstanden hätte. Meine Freunde. Alles, was sie durchgemacht hätten. Schlaflose Nächte, Weinkrämpfe, unendliche Verzweiflung. Manchmal glaube ich kaum, dass ich ihnen das, was ich selbst so schrecklich gut kenne, beinahe zugemutet hätte. Mir das zu verzeihen ist schwierig. Und mir klarzumachen, dass es nicht meine Schuld war, fast unmöglich. Aber dann sehe ich das Kleid an und merke, dass es mir irgendwie nicht mehr gefällt. Es sind nicht die Farben oder Muster und die Spitze ist es auch nicht. Es ist vielmehr das, was ich damit verbinde. Eine Entscheidung, die ich beinahe getroffen hätte. Ein Weg, der damit geendet wäre. Menschen, die vielleicht daran zerbrochen wären. Und sehe ich es an, weiss ich für einen kurzen Moment, dass ich nichts dafür konnte. Dass eine psychische Krankheit keine Charakterschwäche ist. Sondern einfach nur das: eine Krankheit.
Und vielleicht kann ich das Kleid genau deshalb nicht wegwerfen: Es zeigt mir, wie weit ich gekommen bin. Und es warnt mich vor der Schwärze, in der ich war. Es ist wie die Zeit vor drei Jahren, denn auch die kann ich nicht einfach wegschmeissen. Sie wird bleiben, als Teil von mir. Und genauso muss auch das Kleid bleiben. Denn die leise Stimme, die sich immer dann in meinen Kopf schleicht, wenn ich mich längere Zeit nicht gut fühle, braucht Gegenwind. Damit sich ihr «Da bin ich wieder. Hast du mich vermisst?» nicht allzu endgültig anfühlt. Denn es hängt noch da, das Kleid. Ohne Blutflecken, ohne muffigen Grabgeruch. Und das wird auch so bleiben.