Harte Zeit, weiches Fell

Harte Zeit, weiches Fell

Manchmal denke ich an die Plüschmaus, die Sie mir in die Psychiatrie mitgegeben haben. Okay, Sie haben mich gezwungen, sie zu nehmen. Natürlich wollte ich erst nicht. «Ich bin kein kleines Mädchen», hatte ich gesagt, die Taschentücher schwarz von meiner zerlaufenen Mascara. «Ich weiss, aber falls Sie sich einsam fühlen oder traurig sind», sagten Sie. Ich verdrehte die Augen, packte sie aber in meinen Fledermausrucksack.

Während drei Monaten lag sie auf meinem weissen, viel zu weichen Kopfkissen. War einfach da. Ich habe sie oft angesehen, mir ihren Schwanz um den Zeigefinger gewickelt, sie daran festgehalten und durch die Luft gewirbelt. Ihr eigentlich weiches, aber mit der Zeit rau gewordenes Fell gestreichelt. Ich habe die Maus (okay, eigentlich ist es eine Ratte), lieb bekommen. Sie wartete in meinem Zimmer, bis ich von den Therapien zurückkam, begleitete mich in den Raucherraum, saugte Tränen auf. Ich bereue es bis heute, dass ich die Ratte zurückgegeben habe. Sie hätten es nicht gemerkt, wenn sie einfach bei mir geblieben wäre. Da bin ich mir sicher. Tröstend ist nur, dass sie jetzt jemand anderem beistehen kann.

Lief während meiner Psychi-Zeit in Dauerschleife.

Ich frage mich, wieviele Psychiatrien, Stationen und verheulte Taschentücher die Ratte wohl schon gesehen hat. Es müssen unzählige sein. Und wie oft sie Gespräche mitgehört, quasi Mäuschen gespielt hat. All die Scheisse, die sie allein von mir erfahren hat. Ein Glück, können Kuscheltiere nicht sprechen. Oder Selbstmord begehen. Ob sich die Ratte je gefragt hat, was mit mir los ist? Oder hat sie durch ihren Platz auf dem Fenstersims so viel über die menschliche Psyche aufgesogen, dass sie die Diagnose gar vor Ihnen gestellt hat? Haben andere Menschen auch mit der Ratte gekuschelt? Kinder vielleicht? Oder Männer in Anzügen, die sich im Schutz der Therapie endlich zu weinen getraut haben?

Lag die Ratte vielleicht zuerst bei Ihnen Zuhause und Ihre Tochter hat mit ihr gespielt? Sie an sich gedrückt, wenn sie nicht schlafen konnten? Und wurde sie überhaupt mal gewaschen? Vielleicht hat Ihre «Haushälterin», so haben Sie sie immer genannt, sie mal heimlich in die Waschmaschine gesteckt und gehofft, Ihre Tochter vermisst sie nicht. Und vielleicht haben Sie dann bemerkt, dass sie die Ratte nicht mehr braucht, Ihre Patienten aber schon.

Einen Namen habe ich dem Kuscheltier nie gegeben. Ich fand, es steht mir nicht zu. Ist ja nicht meine Ratte. Ausserdem hätte es den Abschied schwerer gemacht. Jedes Mal, wenn ich nach meinem stationären Aufenthalt zur Therapie kam, sass sie auf der Fensterbank. Daneben dasselbe Modell in weiss. Schwarz mochte ich immer schon lieber. Ich hätte sie während unseren Sitzungen gerne gestreichelt oder auf den Arm genommen. Aber das kleine Mädchen in mir hat sich nicht getraut.