Du bist sicher überrascht, von mir zu lesen. Ja, wir beiden dachten mit 17 immer, dass wir niemals über 20 werden. Aber hey, Überraschung: Wir werden dieses Jahr 26. Ich kanns manchmal auch nicht glauben. Anyway. Es gibt da einiges, was ich dir sagen will. Ich war bisher nicht dazu in der Lage, aber jetzt fühle ich mich stark genug. Here we go.
Renn. So schnell und so weit du kannst. Ich weiss, du denkst, das ist Liebe, aber das ist es nicht. Es ist Kontrolle, es ist Eifersucht, es ist Schmerz. So fühlt sich Liebe nicht an. Du kannst das nicht wissen, es ist deine erste Beziehung, aber glaub mir. Ich weiss es besser. Also geh. Bevor du verheiratet oder schwanger oder schwer traumatisiert bist. Letzteres wirst du ohnehin sein, wenn das hier vorbei ist. Du wirst Narben davontragen. Innerliche nur, aber sie werden wehtun. Sehr sogar. Und ja, du wirst auch mit 22, 23, 24 noch trauern. Nicht mehr um ihn, aber um dich selbst. Umso wichtiger, dass du das hier liest.
Es war nicht deine Schuld. Du hast dir Mühe gegeben, dich angepasst. Es hat nicht gereicht. Um Gottes Willen, zum Glück hat es nicht gereicht! Weisst du, du bist eigentlich ganz okay. Wenn du keinen toxischen Partner an deiner Seite hast, der dir permanent das Gegenteil einredet. Du bist introvertiert ja, aber das ist nicht «prüde», wie er es nannte. Es ist auch nicht «langweilig».
Es wird kein schönes Ende mit ihm. Aber ein nötiges. Klar, es wird weh tun. Anfangs wirst du nicht wissen, was du nun tun sollst. Wo du hin sollst. Aber es wird besser. Und sogar gut. Du wirst dich freier fühlen, wohler in deiner Haut, wenn dir nicht ständig jemand sagt, dass etwas nicht mit dir stimmt. Du wirst später mit deiner Schwester zusammenleben und du wirst es lieben. Ich weiss, ich weiss, klingt komisch, da ihr kaum Kontakt habt, aber jetzt, wo sie niemand mehr jeden Tag schlechtredet, fällt dir wieder ein, wie sehr du sie liebst. Ihr werdet eine Zeitlang alleine sein. Und es feiern. Ihr werdet ausgehen, zusammen kochen, lachen und ja, weinen werdet ihr auch. Aber alles im Rahmen.
Und nun, zum wichtigsten Teil: Geh in Therapie. Besser früh, als spät, denn du bist krank. Ich sage es nur ungern, aber das, was alle als «Pubertät» bezeichnet haben, war keine. Suizidgedanken gehören nicht zur Pubertät. Du warst damals schon depressiv. Und schmeiss die Johannisbeertabletten weg. Die helfen einen Scheissdreck.
Übrigens denkst du genau jetzt daran, mit deinem jetzigen Freund zusammenzuziehen. Na, geht dir der Arsch schon auf Grundeis? Gut so! Denn das heisst, dass es dir wichtig ist. Klingt nach Bullshit oder? Egal, wichtig ist: Vielleicht klappt es, vielleicht nicht. Falls nicht, kannst du wenigstens darüber schreiben.