Wenn du dann am Boden bist

Wenn du dann am Boden bist

Es ist da, es ist da, endlich ist es da! Nein, ich freue mich nicht über ein Zalando-Paket oder das neue Slipknot-Album. Ich freue mich über etwas viel Wichtigeres, fast schon essenzielles: auf das Rezept für meine Schlaftabletten. Okay, eigentlich sind es Neuroleptika. Aber wen interessierts. Mich sicher nicht. Denn eigentlich interessiert mich nur eines: endlich wieder schlafen. Und vor allem: keine Angst mehr vor den Nächten. Vor diesen verdammten Nächten, die rasend schnell von «wirklich gut» zu «total beschissen» wurden.

Langsam öffne ich den Posteingang, klicke das PDF an und drucke es aus. Hole es aus dem Drucker. Falte es vorsichtig und ganz genau auf Kante. Ja, ich mache eine Show draus. Aber hey, warum auch nicht? Es wird meine erste Nacht seit Wochen, in der ich mich nicht fürchten muss.

Death Metal dröhnt in meinen Ohren, der Träger meiner Umhängetasche gräbt sich in meine Schulter. Egal, alles egal. Die rechte Hand in der Hosentasche tastet suchend nach dem Blatt Papier. Es wird das nächtliche Sitzen auf dem Küchenboden endlich, endlich beenden. Kein «werde ich heute schlafen können?» und kein «fuck, das ist schon die vierte Nacht in Folge, wie lange halte ich das wohl noch durch?» mehr. Nur Ruhe. Und Frieden. Sieben Stunden, vielleicht sogar acht.

Ich laufe zum Einkaufszentrum. Mache Pause beim Aschenbecher, wie immer. Schalte die Musik aus, auch wie immer. Gehe zur Apotheke und trete ein. Nicht wie immer, denn das habe ich seit mindestens zwei Jahren nicht getan. «Psst», macht es in meinem Kopf «du machst nichts falsch, geh da rein und hol dir, was du brauchst.» Ich nicke. Natürlich nur gedanklich, denn in einer Apotheke still vor sich hin zu nicken ist im besten Fall seltsam. Und im schlimmsten Fall verrückt.

Die bebrillte Apothekerin mit Kurzhaarfrisur kenne ich nicht. Hat sich viel verändert, seit ich zum letzten Mal hier war. Sie ist nett. Nicht, weil sie es sein muss, sie hat wohl einfach ein sonniges Gemüt. «Wie kann ich Ihnen helfen?» Ach, wie schön. Wieder zurück, alles auf Anfang. «Ich habe ein Rezept», sage ich süffisant. Natürlich sage ich es ganz normal, aber ich fühle mich süffisant dabei. Ich reiche ihr den Zettel, der vom ständigen Kneten in der Hosentasche ganz zerknittert ist. Sie schaut sich das Rezept an. «Nehmen Sie das zum ersten Mal?». «Nein, ich kenne es schon.»

Erst, als sie hinter dem grossen Regal, in dem, je nach Jahreszeit, Sonnenschutz oder Hustensaft stehen, verschwindet, werde ich klar. Ich höre das Kleinkind schreien, das in der Spielecke auf seine Mutter wartet. Sehe die junge Frau neben mir, die sich nicht erinnert, welchen Nasenspray «mit oder ohne Menthol?» sie letztes Mal gekauft hat. Und plötzlich merke ich, wie scheisse das ist. Das alles hier. Diese verdammte Apotheke, die Medikamente und ich, weil ich sie wieder will. Das «Psst» in meinem Kopf wird leiser, verstummt. Ich sollte das nicht brauchen. Ich bin ein Mensch, ich sollte abends ins Bett gehen und morgens erholt aufwachen. So wie alle anderen auch.

Es dauert eine Ewigkeit, bis sie zurückkehrt und die Schachtel auf den Glastresen legt. Schwarzer Schriftzug auf weissem Karton. «Die mit dem Regenbogen»! Der Kleber mit der Dosierung lacht mir ins Gesicht. Je nach Bedarf. Immer abends. Ich sage artig «danke» und stecke die Schachtel in die Hosentasche. Das Rezept war leicht, doch die Schachtel ist schwer. Es fühlt sich an, als würde ihr Gewicht die rechte Seite meiner Hose herunterziehen. Und mich mit ihr. Direkt in den Abgrund.

Vor der Apotheke stehe ich dümmlich in der Gegend rum und atme. Wenigstens das schaffe ich noch ohne Hilfe. Es wird wieder lauter, das «Psst», in meinem Kopf. «Beruhige dich. Das ist keine Schande.» Sicher? Denn die letzten zwei Jahre war ich wahnsinnig stolz darauf, es ohne Medikamente zu schaffen. «Schau mich an, ich brauche das ganze Zeugs gar nicht», dachte ich, als ich meiner Mama erzählte, dass mein Frühstück nun nicht mehr nur aus Pillen besteht.

Aber ich kann so auch nicht weitermachen. Ich kann nicht um 4 Uhr aufstehen, Kaffee trinken und so tun, als wäre das normal. Und ich kann mir selbst auch nicht mehr einreden, dass das alles nur eine Phase ist. Ich schlafe seit mehr als einem Monat schlecht und ich will das nicht mehr. Klar, vielleicht mache ich es mir zu einfach. Ich sollte es wohl mit Meditation und Meeresrauschen und dem ganzen Scheiss probieren. Aber, seien wir ehrlich: über dieses Stadium bin ich längst hinaus. Oder, wie Faber es ausdrücken würde, ach, hört selbst:

«Wenn du dann am Boden bist, weisst du, wo du hingehörst