Vom Pogen zur Panik

Vom Pogen zur Panik

«Ist dir schlecht? Soll ich jemanden holen?» Der nächste, der mich retten will. «Nein, nein, alles gut. Ich habe eine Panikattacke. Geht bestimmt gleich wieder.» Stirnrunzeln. Ich strecke, wie zum Beweis, die Plastiktüte in die Luft. «Schau her», will ich sagen, «ich bin vorbereitet.» Sozusagen ein Profi. «Bist du sicher? Das Sanizelt ist gleich da vorne.» Mann, geh doch einfach. Lass mich zurück, hier in meinem Elend. Geh saufen oder fick irgendjemanden, den du heute erst kennengelernt hast, mir egal, nur geh! «Danke, ist wirklich okay.»

Brrz. Oh, mein Handy. Eine Nachricht aus dem Moshpit. Ob wir noch am gleichen Ort seien, will er wissen. «Ich nicht», tippe ich, schicke ein «Ich musste raus», hinterher. Dabei weiss ich gar nicht, warum es wieder passiert ist. Es war ja nichts. Okay, bisschen Geschubse und Gedrängel. Aber das hier ist ein Openair. Ich hätte es verdammt nochmal besser wissen müssen. Was macht jemand wie ich überhaupt hier?

«Hast du einen Asthmaanfall?» Ich überlege. Ich könnte ja sagen. Erklären, dass ich seit meiner Kindheit Asthmatikerin bin. «Kann man nichts machen. Meine Lunge will halt nicht, haha.» Ich entscheide mich dagegen. Denn, sieht sie mich später Kette rauchen, fliegt es eh auf. «Nein, ich habe eine Sozialphobie. Geht aber schon besser.» Ich wedle wieder mit der Plastiktüte. Sie nickt, dreht sich weg.

Eigentlich nur Zufall, dass ich die Plastiktüte dabeihabe, befand sich doch darin ursprünglich, Überraschung, mein Notfallmedikament. Das schwimmt jetzt zusammen mit einer Mischung aus Pommes und Vodka eine Runde in meinem Magen. Anders als in meinen Augen, da schwimmen Tränen. Immerhin bleiben sie dort auch. Denn mit einer Tüte über Mund und Nase lässt sich schlecht heulen.

«Come over here and let me tell you something. Nothing ever comes of nothing. We pay a price for all our choices made.»

Mein Kumpel setzt sich neben mich. Er hat es aus dem Moshpit in mein Handy und dann hierher geschafft. «Was ist?» «Nichts, nur eine kleine Panikattacke. Geht gleich wieder.» «Soll ich Wasser holen?» Bitte? Ich will kein Wasser. Ich will hier einfach nur sitzen, mein CO₂ inhalieren und langsam vor mich hin rotten.

So, genug jetzt mit der Plastiktüte. Ich mache mich lächerlich. Sitze hier im Dreck, versteckt zwischen zwei Foodtrucks und spiele Panik. «Es tut mir leid.» Er streckt seinen Arm aus. Kurz denke ich, dass er mich umarmen will, doch er tätschelt nur verlegen meinen Rücken und starrt gerade aus. Mein Gott, er hasst das hier.

Ich lehne den Kopf an seine Schulter, sage zum mindestens dreihundertfündzwanzigsten Mal «Sorry» und dass ich nicht besoffen, sondern krank bin. «Hör auf, dich zu entschuldigen. Wir sind doch Freunde. Bis Slipknot dran ist, bist du wieder auf den Beinen. Ich warte hier so lange mit dir.» Und all das, die verlegene Berührung, sein «wir sind doch Freunde», mein Kopf auf seiner Schulter, reisst mich raus.

Ich stehe auf, überlege, ob ich die innen schon ganz angelaufene Plastiktüte wegschmeissen soll. Ich entscheide mich dagegen. Bin schliesslich noch einen Tag hier.